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  • Sara Stocker Steinke

Soziale Nachhaltigkeit im Museum: Orientierungshilfen

Aktualisiert: vor 3 Tagen

Lange stand sie im Schatten von ökologischen und ökonomischen Forderungen: Mittlerweile gewinnt auch die soziale Nachhaltigkeit in der Museumslandschaft an Bedeutung. Sie fokussiert auf den Menschen, seine Bedürfnisse und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Modelle wie der "Sustainable Development Star" bieten eine erste Orientierung, wie Museen als Plattformen für soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit agieren können. Doch wie wird diese Vision in der Praxis umgesetzt, und welche konkreten Schritte können Museen unternehmen, um soziale Nachhaltigkeit zu fördern?

 

Der „Sustainable Development Star“ als Modell

Der von Martin Müller & Julie Grieshaber an der Universität Lausanne entwickelte „Sustainable Development Star“ stellt einen mehrdimensionalen Ansatz dar, der soziale, ökologische und ökonomische Aspekte miteinander verbindet. Aufbauend auf dem Kern der Governance spielt die soziale Dimension mit 8 Aspekten eine tragende Rolle: Museen sollen zugänglich, inklusiv und partizipativ sein, kollaborativ in Partnerschaften, mit diversen Communities und der Umgebung  zusammenarbeiten, sich um das Wohlbefinden ihr Mitarbeitenden kümmern und als integre, inspirierende Orte der gesellschaftlichen Reflexion dienen. Die insgesamt 20 Aspekte des Kompasses sind auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals; SDGs) abgestimmt und berücksichtigen die Ansprüche der neuen ICOM-Definition.


Sternförmiger Kompass mit drei Ebenen. 1. Vierteiliger Innenkreis zur Governance. 2.  Sozialer Bereich mit 8 Elementen 3. Ökologischer Bereich mit 8 Elementen.
© Sustainable Development Star (Müller & Grieshaber, 2024))

Müller & Grieshaber haben für ihre Analyse 206 Rückmeldungen von führenden Kulturinstitutionen aus der ganzen Welt – mit einem Schwergewicht auf Europa und Nordamerika – ausgewertet. Da die Analyse auf Selbstdeklaration beruhte, muss die Aussagekraft etwas relativiert werden. Sechs der 14 Kulturinstitutionen, die am besten abschneiden, kommen aus Grossbritannien. Gründe liegen zum einen darin, dass es im Vereinigten Königreich strenge Auflagen zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit gibt und zum anderen eine hohe Dichte von Nichtregierungsorganisationen existiert, die Kulturakteure punkto Nachhaltigkeit begleiten. Als Museum mit dem höchsten Ranking kann man von den National Galleries of Scotland in Edinburgh einiges lernen, beispielsweise von ihren Nachhaltigkeitsreports oder ihren Zugänglichkeitsmassnahmen.

 

Praktische Ansätze für soziale Nachhaltigkeit im Museum

Ein Museum, das soziale Nachhaltigkeit ernst nimmt, strebt danach, aktiv zur Förderung von Chancengleichheit, Diversität und Teilhabe beizutragen. Dies umfasst sowohl die interne Betriebskultur – also dem Umgang mit Mitarbeitenden – als auch die externe Wirkung auf die Gesellschaft. Folgende Beispiele aus der Schweiz illustrieren, was gemeint ist.

 

1. Inklusion und Diversität als Grundpfeiler

Diversität in den Museumsteams und die Inklusion von unterrepräsentierten Gruppen sorgen für ganzheitliche Herangehensweisen in betrieblichen Abläufen und neuen Perspektiven. Dazu braucht es im Bereich der Governance eine Leitung, die soziale Werte vertritt und vorlebt. So stellt zum Beispiel das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee in Bern, bewusst auch Kunstschaffende mit Behinderungen für die Vermittlungsarbeit in den Workshops ein. Auf diese Weise sensibilisiert es die Teilnehmenden und baut durch diese künstlerischen Begegnungen Vorurteile ab. Zahlreiche Beispiele, wie inklusive Massnahmen umgesetzt werden können, liefern Museen, die mit der Fachstelle Kultur inklusiv von Pro Infirmis Labelpartnerschaften abgeschlossen haben. Einen Überblick liefert die Webseite www.kulturinklusiv.ch.

 

2. Partizipation im Betrieb und mit Communities

Mitbestimmung sowohl bei internen Entscheidungen oder bei der Erarbeitung von Ausstellungen oder der Aufarbeitung von Sammlungsgut führt zu mehr Commitment und Identifikation. Das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf baute unter seinem Jahresschwerpunkt „Mentale Gesundheit“ (2022-2023) in Zusammenarbeit mit der Museologin und Emotionsforscherin Marzia Varutti und dem Team ein Toolkit für mehr Care innerhalb und ausserhalb de Betriebs auf. Wie der Einbezug von Communities in der Ausstellungstätigkeit gelingt, zeigt das Museum Schloss Burgdorf mit dem Projekt „Zum Wesen der Dinge“: lokale Gruppen bestimmen die Objekteauswahl mit und repräsentieren die Bevölkerung. Diese partizipative Herangehensweise stärkt nicht nur die Verbundenheit der Gemeinschaft, sondern schafft auch einen Raum für verschiedene Perspektiven und fördert das gegenseitige Verständnis.

 

3. Barrierefreiheit und niederschwellige Teilhabe

Ein weiteres Schlüsselelement sozial nachhaltiger Museen ist die Barrierefreiheit. Sie sorgt für den hindernisfreien Zugang zum Gebäude, und in den Ausstellungen für Menschen mit unterschiedlichen körperlichen, kognitiven und mentalen Voraussetzungen. Entsprechende Informationen werden barrierefrei auf der Webseite und in den Publikumsräumen kommuniziert. Ein gutes Beispiel dazu liefert Augusta Raurica. Eine Willkommenskultur beinhaltet auch, dass neben einem sensibilisierten Besucherservice das Museum aktiv auf bisherige marginalisierte Besucher*innengruppen zu geht. Museen, die als „Dritte Orte“ agieren, ermöglichen in ihren Räumen niederschwellige Interaktionen. Das Neue Museum Biel schafft erste Voraussetzungen für einen solchen Begegnungsort mit seinem frei zugänglichen Eingangsbereich, der ohne Konsumationszwang genutzt werden kann. Was es alles braucht, damit ein Museum tatsächlich als "Dritter Ort" funktionieren kann, folgt in einem späteren Blogbeitrag.


Angebote in der Schweiz

Der Verband der Museen der Schweiz (VMS) und ICOM Schweiz bemühen sich seit längerem, die Nachhaltigkeit in den Schweizer Museen zu fördern und publizierten Leitfäden und zahlreiche Hilfestellungen dazu. Der Jahreskongress 2024 bot einen bunten Einblick in Projekte aus allen Dimensionen und zeigte auch Spannungsfelder auf. Im Rahmen des Projekts "museum2030" vergeben die beiden Verbände Beiträge zur Analyse der Nachhaltigkeit und Projektentwicklung in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG). Die zweite Durchführung setzt den Fokus auf die ökologische Nachhaltigkeit. Mit "Happy Museums Schweiz" wird ab 2025 viel konkrete Fachlichkeit in den Verbandsstrukturen von museums.ch verankert werden. In den jüngst vorgestellten "Happy Museums Tool" findet man zahlreiche praktischen Hinweise auch für die soziale Dimension der Nachhaltigkeit.

 

Blick über den Tellerrand

Das Fundament für Happy Museums Schweiz liegt in England: Das "Happy Museum Project" wurde bereits 2011 ins Leben gerufen und unterstützte bislang über 50 Museen durch Peer-Learning, Forschung und kreative Interventionen, um das Wohlbefinden von Besucher*innen zu steigern, Communities einzubinden und ökologische Verbesserungen umzusetzen. Auf der Projektwebseite sind neben Best-practice Anleitungen auch zahlreiche Tools aufgeführt, um Wirkungsmessung in den angestossenen Changeprozessen zu betreiben.

 

ICOM-Österreich hat 2022 das Projekt "17 Museen × 17 SDGs" lanciert, bei dem grosse und kleinere Museen aus allen Bundesländern als Pioniere für soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung die einzelnen SDGs mitmachten. So beschäftigte sich das Museum der Moderne Salzburg beispielsweise in verschiedenen Veranstaltungen, Diskussionen, Aktionen und Filmvorführungen mit dem SDG 2: Kein Hunger. Das Vorarlberg Museum setzte sich mit dem SDG 3: Gesundheit und Wohlergehen  auseinander. Eine begleitende Kommunikationskampagne in sozialen Medien und vor Ort machte das Engagement der Museen sichtbar.


Landkarte von Österreich mit 17 teilnehmenden Museen zu den 17 Sustainable Development Goals. Farbige Kacheln sind über das Land verteilt und farblich mit den Museen verbunden.
Landkarte von Österreich mit 17 teilnehmenden Museen zu den 17 Sustainable Development Goals (© ICOM-Österreich)

 

In Zusammenarbeit mit Museumsvertreter*innen und weiteren Expert*innen erarbeitet der Deutsche Museumsbund bis Ende 2025 eine museumsspezifische Nachhaltigkeitszertifizierung. Sie soll auf die spezifischen Anforderungen der Museumslandschaft eingehen und die Museen bei ihren vielfältigen Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit wirkungsvoll unterstützen. Auf ihren Vorschlag darf man gespannt sein!

 

Fazit: Museen als Vorreiter sozialer Nachhaltigkeit

Modelle wie der "Sustainable Development Star" zeigen, wie vielfältig und bedeutend der Beitrag von Museen zur sozialen Nachhaltigkeit sein kann. Indem sie Diversität, Inklusion und Chancengleichheit fördern, werden sie zu Orten, die nicht nur Objekte und ihre Geschichte bewahren, sondern auch aktiv die Gesellschaft gestalten. Klar ist: Museen, die soziale Nachhaltigkeit in ihre Strategien integrieren und leben, schaffen eine engere Bindung zu ihren Besucher*innen und ihrer Umgebung und entfalten so eine soziale Wirkung.

 

 

Literaturhinweise:

 

Happy Museums Schweiz, Toolkit. Nachhaltigkeit konkret (2024)

 

Happy Museum Project, GB


ICOM-Österreich, 17 Museen × 17 SDGs — Museen als Pioniere für soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung (2022) http://icom-oesterreich.at/publikationen/17-museums-x-17-sdgs-sustainable-development-goals


Martin Müller & Julie Grieshaber (2024). How sustainable are cultural organizations? A global benchmark, Sustainability: Science, Practice and Policy, 20:1, 2312660,

 

Museums.ch, Standard «Soziale Nachhaltigkeit» (2024)

 

National Galleries of Scotland Nachhaltigkeitsbericht

Barrierefreie Angebote

 

Marzia Varutti (2023), 10 ideas for a caring museum, Musée international de la Croix-Rouge et du Croissant-Rouge

 

 



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