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  • Sara Stocker Steinke

Museen als Akteure des gesellschaftlichen Wandels: Was ist wirklich wichtig?

Aktualisiert: vor 7 Tagen

«Museums have the power to change the world around us!» Der Leitsatz der 26. Generalkonferenz von ICOM im August 2022 bringt es auf den Punkt: Museen sind integrale Bestandteile der Gesellschaft und Akteure für positive Veränderungen in ihrer Umgebung. Mit der Einforderung von Zugänglichkeit, Inklusion, Diversität und Partizipation in der neuen ICOM-Definition erhalten Museen konkrete Handlungsanweisungen und Ergebnisziele, wie sie ihre gesellschaftliche Relevanz erreichen und einen Beitrag zur Kohäsion leisten können.


Umfrage bei Museumsfachleuten

Welche Faktoren sind für diese Changeprozesse aus der Sicht von Museumsfachleuten am wichtigsten? Um Antworten darauf zu finden, habe ich im Herbst 2023 eine standardisierte Online-Umfrage im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Berner Fachhochschule BFH durchgeführt. Die Einschätzung der 74 Teilnehmenden - mehrheitlich aus der deutschsprachigen Schweiz - geben Hinweise auf die Prioritäten und Herausforderungen, die Museen helfen, ihre gesellschaftliche Rolle ernst zu nehmen. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.


In meiner Masterarbeit beschäftigte ich mich mit einem Wirkungsmodell, das aufzeigt, wie sich Museen zu sozialeren Orten entwickeln können. Dazu habe ich Zielsetzungen (Outcomes) für die neuen Konzepte Inklusion, Diversität und Partizipation definiert, welche die unterschiedlichen Aufgaben im Museumsbetrieb berücksichtigen. Die Kriterien für die Outcomes habe ich aus Fachtexten der «New Museology» und der «Soziomuseologie» hergeleitet. Zentral war die Resolution der 38. UNESCO-Generalkonferenz 2015 in Paris, welche als Grundlage für die neue ICOM-Definition diente (UNESCO, 2015). Diese Outcomes habe ich in der Umfrage den beteiligten Museumsfachleuten nach ihrer Wichtigkeit beurteilen lassen.


Diagramm mit Skala von 1-10.  Der Wert 8 erhält mit 22 Nennungen am meisten Stimmen.
Diagramm zur Einschätzung der ICOM-Definition (N=74) © Sara Stocker Steinke

Doch wie wichtig ist die Definition für Museumsfachleute in der Deutschsprachigen Schweiz überhaupt? Die Umfrage zeigte, dass 65 % der befragten Personen sie als sehr wichtige Leitlinie für ihre Arbeit im Museum einschätzen (Werte zwischen 8-10). 25 % beurteilen sie als einigermassen wichtig (Werte zwischen 4-7) und weniger als 10 % halten sie als wenig wichtig (Werte zwischen 1-3).


Nachhaltigkeit als zentrale Aufgabe

Auf die Frage, welche Elemente der neuen ICOM-Definition den Auftrag der Museen für ihre gesellschaftliche Relevanz am besten erfüllen, wählten die Teilnehmenden die Nachhaltigkeit an erster Stelle. Dabei wurde nicht weiter zwischen der ökologischen, soziale oder wirtschaftlichen Dimension unterschieden. Die Ergebnisse spiegeln den Trend wider, der durch die Aktivitäten des Vorstands von VMS und ICOM Schweiz in den vergangenen Monaten vermehrt in Bewusstsein rückten. Gemeinsam auf dem zweiten Rang folgen die Barrierefreiheit & Inklusion, sowie die Partizipation mit Communities.


Inhaltsvermittlung und Austausch fördern

Aus einer Auswahl von Outcomes für gesellschaftliche Veränderung erhielten die Kriterien «Inhaltliche Zugänge für alle schaffen (Verständlichkeit)» und «Orte des Austauschs und Dialogs sein» sowohl punkto Nützlichkeit wie Priorität am meisten Stimmen. Damit wählten die Fachleute zum einen den klassischen Auftrag der Inhaltsvermittlung, zum andern eine Aufgabe, die klar die Öffnung und Interaktion der Museen mit dem Publikum betont. Diese Funktionen von Museen wird als zentral angesehen, um die Zusammengehörigkeit zu stärken und eine Plattform für offene Diskussionen zu bieten.


Verständnis und Empathie schaffen

Die Schaffung von Bewusstsein, emotionalen Erlebnissen und Empathie steht ebenfalls hoch im Kurs. 62 % der Befragten bewerteten diese Aufgabe als sehr wichtig. Museen sollten Räume sein, in denen Besucher*innen nicht nur Wissen erwerben, sondern auch emotionale Verbindungen knüpfen und Empathie für unterschiedliche Perspektiven entwickeln können.


Gesellschaftliche Veränderungen reflektieren

61 % der Teilnehmer*innen der Umfrage halten es für sehr wichtig, dass Museen gesellschaftliche Veränderungen reflektieren und zur Diskussion stellen. Diese Reflexion ermöglicht es den Besucher*innen, aktuelle soziale Entwicklungen besser zu verstehen und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.


Interne Strukturen und Betriebskultur: Die Basis für Veränderung

Die Bedeutung einer unterstützenden internen Struktur wird durch die Umfrageergebnisse deutlich. Besonders wichtig ist die aktive Unterstützung durch die Museumsleitung, die von 76 % der Befragten als sehr wichtig eingestuft wird. Eine weitere Priorität ist, dass Inklusion, Diversität und Partizipation (I/D/P) den gesamten Museumsbetrieb umfassen sollten, was als zweitwichtigstes Kriterium gewertet wird. Diese betriebsinternen Voraussetzungen sind mitentscheidend, um die gesellschaftlichen Ziele von Museen effektiv umzusetzen.


Ausstellungen, Vermittlung und Kommunikation: Zugang und Inklusion im Fokus

Für die operative Tätigkeit von Museen wurden mehrere Schlüsselbereiche identifiziert:


  • Zugänglichkeit von Ausstellungen: 77 % der Befragten halten es für sehr wichtig, dass Ausstellungen physisch, inhaltlich, kognitiv und emotional zugänglich sind. Dies ist das am höchsten bewertete Kriterium und betont die Notwendigkeit, Ausstellungen für ein breites Publikum zu öffnen.

  • Ansprechen unterschiedlicher Personengruppen: 70 % der Befragten erachten es als essenziell, dass Ausstellungen verschiedene Personengruppen ansprechen sollten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, inklusiv zu arbeiten und eine breite gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

  • Barrierefreie Kommunikation: In der Kommunikation ist es besonders wichtig, dass Museen barrierefrei agieren, da ansonsten bereit erste Hindernisse den Zugang erschweren. 70 % der Befragten sehen dies als sehr wichtig an, gefolgt von der Nutzung einer einfachen, diskriminierungsfreien Sprache (64 %) und mehrsprachiger Kommunikation (57 %).

 

Mitbestimmung nur in Grenzen

Während viele Massnahmen als wichtig angesehen werden, gibt es auch einige, die weniger im Fokus stehen. Beispielsweise wurde das Ziel, Angebote zusammen mit Teilnehmer*innen zu konzipieren, von nur 9 % der Befragten als sehr wichtig eingestuft. Auch die detaillierte Reflexion von Machtstrukturen und die direkte Einbeziehung von Besucher*innen in die Museumsarbeit wurden als weniger prioritär betrachtet. Dies lässt aufhorchen, denn es sind genau diese Punkte, die entscheidende Veränderung in der Gesellschaft vorantreiben können. Weiter als soziale Interaktion und Austausch soll es nicht gehen.


Veränderungen sind nötig

Mit mehr Partizipation und dem Einbezug von bisherigen Nicht-Besucher*innen betreten Museen  ungewohntes Terrain. Sie müssen ihre Komfortzone verlassen und neue Vorgehensweisen entwickeln, die auch strukturelle Veränderungen nach sich ziehen. Veränderungen lösen neue Dynamiken aus, sind unbequem – deshalb stossen sie oft auf Skepsis. Es braucht Leitungspersonen, die gemeinsam mit ihren Teams Visionen entwickeln und ihre Strategien daraus ausrichten. Indem Museen vermehrt die Bedürfnisse ihrer (NICHT-)Besucher*innen in den Fokus nehmen, können sie ihre gesellschaftliche Wirkung ausbauen und als gesellschaftlich relevante Akteure auftreten.   


Mit der Beratung durch INKLUSEUM möchte ich Museen unterstützen, Austausch, Inklusion, Nachhaltigkeit und Reflexion in ihren Betrieben voranzubringen und entsprechende Massnahmen und Verantwortlichkeiten zu definieren.

 


Literaturhinweise:


Akiyama, Minamo; Lehmannová, Martina; Petlička, Filip; Pollicini, Francesca; Somolová, Renata & Švajnerová, Martina (2023). ICOM Prague 2022. Final Report. 26th ICOM General Conference, 20.-28. Aug 2022. (Konferenzschrift). Prag und Paris: International Council of Museums (ICOM) and ICOM Czech Republic.

 

UNESCO (2015). Proposal for a non-binding standard-setting instrument on the protection and promotion of various aspects of the role of museums and collections. (38th General Conference). Paris: UNESCO. Verfügbar unter: https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000233892


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