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  • Sara Stocker Steinke

Inklusion im Museum: Was bedeutet das eigentlich?

Aktualisiert: vor 7 Tagen

Unter dem Titel "Ein inklusiver Besuch im Museum" schildern zwei junge Frauen vom Verein "Reporter:innen ohne Barrieren" einen Besuch im Museum für Kommunikation in Bern. Das Museum lud sie ein, ihre Ausstellungen auf Barrierefreiheit zu testen und gemeinsam über das Thema Zugänglichkeit nachzudenken. Unabhängig vom Verdikt der Testpersonen: das Museum handelt damit inklusiv, da es den Dialog mit Expertinnen in eigener Sache sucht, um sich zu verbessern.

   

Doch, was heisst eigentlich Inklusion im Museum? Und wie hängen die Konzepte Zugänglichkeit, Diversität, Gleichstellung, Teilhabe und Partizipation damit zusammen? Alle diese Konzepte bauen auf dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit auf.


Grafik zum Inklusionsbegriff mit einem grünen Kreis im Zentrum: Beschriftung: Inklusion; darum herum sind weitere vier Kreise angeordnet, die den zentralen Kreis jeweils anschneiden. Oben steht Diversität; rechts: Partizipation, unten: Gleistellung und Teilhabe; links: Barrierefreie Zugänglichkeit. Alle diese Kreise werden von einem weiteren Kreis umfasst, der mit Soziale Gerechtigkeit beschriftet ist.
Inklusionsbegriff schliesst die Konzepte Diversität, Partizipation, Gleichstellung und Teilhabe sowie Barrierefreie Zugänglichkeit mit ein und zielt auf soziale Gerechtigkeit ab. © INKLUSEUM

Inklusion (lateinisch «includere»: einschliessen) bezieht sich auf den Prozess und die Praxis, Menschen in einer Weise einzubeziehen, die sicherstellt, dass alle individuellen Unterschiede, Fähigkeiten und Bedürfnisse respektiert und berücksichtigt werden. Inklusion zielt darauf ab, eine Umgebung zu schaffen, in der jeder, unabhängig von seinen Merkmalen oder Hintergründen, vollständig teilnehmen und sich wertgeschätzt fühlen kann. Das Konzept der Inklusion nimmt eine Schlüsselrolle für den gesellschaftlichen Impact von Museen ein: Ein breiter Inklusionsbegriff baut auf dem Konzept der sozialen Gerechtigkeit auf, die nach einer Gesellschaft strebt, in der jeder Mensch gleichberechtigt ist und die gleichen Chancen und Möglichkeiten hat, am sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben teilzuhaben. Jegliche Form von Diskriminierung gilt es zu bekämpfen (Dawson, 2023).


Inklusion im engeren Sinn meint Publikumsgruppen mit Behinderungen und wird in Museen im deutschsprachigen Raum häufig mit Zugänglichkeit verbunden. Sie ist die Voraussetzung für Inklusion und Partizipation, denn ohne Zugang ist keine Teilhabe möglich. Der hindernisfreie Zugang umfasst die gesamte Customer-Journey. Damit ist der Weg der Besucher*innen gemeint: von der Informationsbeschaffung, über die Anreise, Ankunft und Empfang, bis zum Besuch der Ausstellungen, Vermittlungsangeboten und Rahmenprogrammen sowie der Serviceleistungen vor Ort. Zentral dabei sind eine barrierefreie Kommunikation auf der Webseite (und weiteren Kanälen) und Angebote, die unterschiedliche Wahrnehmungsformen bedienen. Bei Ausstellungen betrifft dies die barrierefreie Gestaltung, die inhaltliche Vermittlung, das Textniveau, sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher Sinneskanäle und Perspektiven zur Verarbeitung der Informationen. Vielfältige Zugangsformen kommen allen Besucher*innen entgegen und bedienen unterschiedliche Sichtweisen.


Inklusion bedingt deshalb die Anerkennung von Diversität: alle Menschen, unabhängig von ihren individuellen Unterschieden, sollen in ihrer Vielfalt geschätzt und respektiert werden. So zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, ethnische Minderheiten, Personen aus der LGBTQ+-Gemeinschaft, Menschen mit unterschiedlichen religiösen und sozioökonomischen Hintergründen etc. Dabei gilt es auch die Intersektionalitäten der Diversitätsdimensionen zu beachten.


Die Juristin Kimberlé Crenshaw verwendete den Begriff Intersektionalität, um darauf aufmerksam zu machen, dass verschiedene Formen von sozialer Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung nicht isoliert voneinander existieren, sondern sich überschneiden und gegenseitig verstärken können. Sie verwendete dazu als Metapher den englischen Begriff "intersection", eine Strassenkreuzung. Eine Kreuzung besteht aus mehreren Strassen, die sich schneiden. Jede Strasse steht symbolisch für eine bestimmte Dimension sozialer Identität oder Diskriminierung, wie z. B. Rasse, Geschlecht, Klasse, sexuelle Orientierung usw. Für Crenshaw kann man sich Rassismus, Sexismus, Klassismus und andere Diskriminierungsformen wie Strassen vorstellen, die sich kreuzen und sich dadurch verstärken oder auch abschwächen.


Crenshaw prägte den Begriff in den späten 1980er Jahren, um zu verdeutlichen, wie Schwarze Frauen sowohl durch Rassismus als auch durch Sexismus benachteiligt werden. Sie stellte fest, dass traditionelle feministische und antirassistische Theorien oft nur eine Dimension der Unterdrückung berücksichtigen (Geschlecht oder Rasse), aber die spezifischen Erfahrungen von Menschen übersehen, die mehreren Formen der Diskriminierung ausgesetzt sind. Crenshaw veranschaulichte dieses Konzept am Beispiel eines Gerichtsurteils, in dem Schwarze Frauen entweder als Frauen oder als Schwarze betrachtet wurden, nicht aber als eine Gruppe, die von beidem gleichzeitig betroffen ist.


Zur sozialen Gerechtigkeit gehört auch die Möglichkeit zur Mitsprache und Mitbestimmung, wie sie im Konzept der Partizipation verankert ist. Inklusion ist somit wesentlich durch aktive Beteiligung gekennzeichnet und schliesst die Partizipation auch in Form von Wahlmöglichkeiten mit ein (Taylor, 2017, S. 160). Die amerikanische Museologin Nina Simon unterscheidet dabei verschiedene Stufen der Mitbestimmung (Simon, 2010):

  1. Beobachten: Besucher*innen sind Zuschauer und nehmen Informationen auf.

  2. Beteiligen: Besucher*innen haben begrenzte Interaktionen, wie zum Beispiel durch einfache Umfragen oder Feedback-Möglichkeiten.

  3. Kollaborieren: Besucher*innen arbeiten aktiv mit dem Museumsteam zusammen, um Inhalte zu erstellen oder zu verändern.

  4. Ko-kreieren: Besucher*innen haben völlige Freiheit, eigene Inhalte zu entwickeln und zu präsentieren. Hier agieren sie praktisch als gleichberechtigte Partner des Museums.


Mitbestimmung im Sinne der Inklusion meint die aktive Beteiligung und somit Kollaboration oder Ko-Kreation. In ihrem Buch "The Participatory Museum" nennt Simon folgende weitere Massnahmen für die Einbindung des Publikums:


  • Besucherzentrierte Ausstellungen, die sich an den Bedürfnissen und Interessen der Besucher orientieren, indem sie zum einen interaktive Elemente anbieten, die es den Besuchern ermöglichen, ihre eigenen Erfahrungen zu gestalten. Zum anderen sollen Geschichten und Themen aus der Community: berücksichtigt werden, die von oder für die lokale Gemeinschaft erstellt werden.

 

  • Räume für Dialog schaffen, in denen sich Menschen austauschen und ihre Perspektiven miteinander teilen können. Gesprächs- und Awareness-Regeln helfen, eine diskriminierungsfreie Basis für den Austausch zu schaffen.

  • Demokratisierung des Wissens, indem Besucher*innen als Expert*innen zur Wissensproduktion beitragen. Dabei dient das Museum als Forum, auf der verschiedene Stimmen gehört und repräsentiert werden.

     

  • Nutzung digitaler Medien, um Besucher*innen zu erreichen und ihnen eine niederschwellige, zugängliche Plattform zu geben, auf der sie mit dem Museum in Kontakt treten und eigene Beiträge leisten können.

     

  • Flexibilität und Offenheit für Unvorhersehbares, dazu gehört, Beiträge von Besucher*innen zu akzeptieren und auf sie zu reagieren, anstatt nur vorab festgelegte Ergebnisse zu erwarten. Auch hier gelten Regeln, das Aussagen nicht diskriminierend sein dürfen.


Bestrebungen für mehr Inklusion, Diversität und Partizipation führen langfristig zu einer grundlegendenden Änderung der Museumspraxis: Mit sich stärker verändernden und diverseren Besuchergruppen und dem Auftrag zur Öffnung für gesellschaftliche Belange rückt eine kooperative und kollaborative Museumsarbeit in den Mittelpunkt. Nach dem Motto "Nichts über uns ohne uns" ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den unterschiedlichen Ansprechgruppen zentral. Diese Beteiligungsformen sind anspruchsvoll und benötigen neben einer geeigneten Infrastruktur auch sensibilisiertes und geschultes Personal in allen Bereichen des Museums, sowohl in der Kommunikation, der Kuration, der Vermittlung, dem Besucherservice, der Sicherheit und der Verwaltung. Denn Inklusion ist eine Querschnittaufgabe und umfasst wie die Nachhaltigkeit den gesamten Betrieb. Inklusion sollte deshalb auf strategischer und struktureller Ebene durch die Museumsleitung verankert, in den Zuständigkeiten und Abläufen geklärt, im Budget und bei der Ressourcenplanung berücksichtigt und im Personalmanagement mitgedacht werden.


Doch zurück zu den Reporterinnen im Museum für Kommunikation: Sie stellten fest, dass die Dauerausstellung für eine Person mit Mobilitätseinschränkungen an den Gliedmassen mehrheitlich gut zugänglich ist, die Sonderausstellung jedoch einige Hürden aufweist. Eine Person mit Hörbehinderung oder mit Sehbehinderung würde dies jedoch anders beurteilen. Klar ist: ein Museum kann nicht alle Bedürfnisse immer gleich berücksichtigen. Schwerpunkte setzen ist erlaubt. Deshalb ist eine klare Kommunikation über barrierefreie Angebote und die frühzeitige Einbindung von Expert*innen in eigener Sache in Planungsprozesse sehr wichtig. Die Begleitung durch ein Sounding Board kann zu effizienteren und inklusiveren Lösungen führen. Das Gute daran: Langfristig profitieren Museen von kontinuierlichem Lernen und Anpassungen und bieten damit allen Besucher*innen einen qualitativen Mehrwert .




Literaturhinweise:


Crenshaw, Kimberle (1989). Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Policies. In University of Chicago Legal Forum 1989, no. 1 (1989): 139-167. Verfügbar unter: https://inclusionandbelongingtaskforce.harvard.edu/publications/demarginalizing-intersection-race-and-sex-black-feminist-critique


Dawson, Emily (2023). Social Inclusion. In François Mairesse (Hrsg.), Dictionary of Museology (S. 500–503). London ; New York: Routledge/Taylor & Francis Group.


Murawski, Michael (2021). Museums as agents of change: a guide to becoming a changemaker. Lanham: Rowman & Littlefield.


Simon, Nina (2010). The participatory museum. Santa Cruz: Museum 2.0.


Taylor, Chris (2017). From Systemic Exclusion to Systemic Inclusion: A Critical Look at Museums. Journal of Museum Education, 42 (2), 155–162. doi:10.1080/10598650.2017.1305864


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